Donald und seine Wähler: Eine Gewaltfreie Betrachtung von Trumps Wahlsieg

donald-trump-1708433_640Zum ersten Mal etwas mulmig ist mir geworden, als ich Anfang September einen Artikel von Michael Moore in der Zeit gelesen habe. Der Oscarpreisträger und Lieblingsdokufilmer der Linken weltweit listete darin fünf Gründe auf, warum Donald Trump seiner Meinung nach zum Präsidenten gewählt werden würde. Ich schluckte die Mulmigkeit schnell wieder herunter und wandte mich meinem rationalen Geist zu. Der versicherte mir: Das wird schon nicht passieren. Wie gefühlte 90 Prozent der Weltbevölkerung ging ich davon aus, dass am Ende schon „die Vernunft“ siegen und Hillary Clinton ins Weiße Haus bugsieren würde.

Nach dem Eintreten des größten anzunehmenden Unfalls in den frühen Morgenstunden des 9. November (immer der 9. November!) musste ich feststellen: Michael Moore hat mit seinen düsteren Prophezeiungen tatsächlich recht behalten. Waren wir wirklich alle so blind? Mit dem Brexit war in diesem Jahr schließlich schon einmal genau das passiert was „schon nicht passieren würde“. Aber Trump als Präsident schien mir irgendwie noch eine Nummer absurder. Der ganze Wahlkampf hatte durchgehend etwas Surreales.

Nun sitze ich da und versuche mir einen Reim auf alles zu machen. Ich fühle mich gerade etwas ratlos: Wie gehe ich mit der Wahl Donald Trumps aus einer Perspektive der Gewaltfreien Kommunikation um? Es ist ja nicht so, dass ich nicht die Stimmen in meinem Kopf hätte, die schreien: Faschist! Rassist! Frauenfeind! Idiot! Oder: Wie können die Amis nur so blöd sein!

Und gleichzeitig weiß ich, dass diese Sichtweise erstens ziemlich kurz greift und zweitens einfach niemandem weiterhilft. Kein Mensch hat jemals seine Meinung geändert, nur weil ihm lange genug gesagt worden ist, wie bescheuert/dumm/ungebildet er ist. Die Menschen versuchen seit Anbeginn ihrer Existenz Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Sie werden es einfach nicht müde, auch wenn der Versuch immer wieder kläglich scheitert.

Wenn ich darauf schaue wie es mir momentan geht, also ganz im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation den Fokus weg von meinen Gedanken und Urteilen auf meine Gefühle lenke, spüre ich einfach eine tiefe Verunsicherung und Ratlosigkeit. Ich habe Angst davor wie es mit der Welt weitergeht und meine Bedürfnisse nach Sicherheit, Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft sind nicht erfüllt.

Und genau hier empfinde ich die Schnittmenge mit vielen Amerikanern, die ihr Kreuz bei Donald Trump gemacht haben, die Schnittmenge mit den Brexiteers, genauso wie mit den Wählern der AfD. Ihnen fehlt es meinem Gespür nach ebenfalls an Sicherheit, Hoffnung und Vertrauen in eine bessere Zukunft und sie versprechen sich durch ihre Wahlentscheidungen eine Erfüllung dieser Bedürfnisse. Leider führt genau das dann zu mehr Sorgen und mehr Angst bei mir und vielen anderen Menschen.

Die Gewaltfreie Kommunikation versucht unseren Blick immer wieder auf das zu richten, was wir Menschen miteinander gemeinsam haben: unsere Gefühle und Bedürfnisse. Wenn ich nur auf die Strategien von Menschen zur Bedürfniserfüllung schaue – zum Beispiel die Strategie eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, um sich sicherer zu fühlen – schrumpft das was mich mit diesen Menschen noch verbindet schnell auf ein Minimum zusammen.

Aber ich weiß wie sich Angst und Unsicherheit anfühlen und auch ich wünsche mir eben Sicherheit, Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft. Ich sage also ja zu den Gefühlen und Bedürfnissen der Trump- (und AfD- und Brexit-) Wähler. Mindestens genauso laut sage ich aber nein zu den meisten ihrer Strategien und Vorstellungen mit denen sie sich ihre Bedürfnisse zu erfüllen versuchen. Wenn ich mich empathisch in einen Menschen hineinversetzen kann, der anderer Meinung ist als ich, heißt das eben noch lange nicht, dass ich seinen Handlungen zustimme.

Mahatma Gandhi hat in seinem Kampf um die Unabhängigkeit Indiens nie den Respekt für seinen Gegner, die englische Regierung, verloren. Er hat sich nie zu Gewalt hinreißen lassen auch wenn ihm immer wieder mit Gewalt begegnet wurde. Und am wichtigsten: er hat niemals aufgegeben für das zu kämpfen, an das er glaubte, obwohl der Kampf Jahrzehnte dauerte.

Als Nachrichtenjunkie habe ich an den letzten Tagen so ziemlich alles gelesen, was im Netz auf Zeit und Spiegel online, im Guardian und der New York Times über Trumps Wahlsieg geschrieben wurde. Da gibt es einerseits die Stimmen, die eine apokalyptische Zukunft aufziehen sehen: ein rücksichtsloses, brutales Amerika, das den Schulterschluss mit den Despoten dieser Welt suchen und alle Spuren von Obamas Regierungszeit binnen kürzester Zeit ausradieren wird. Auf der anderen Seite stehen diejenigen Stimmen, die zu Besonnenheit aufrufen und beschwören, dass am Ende nichts so heiß gegessen wird wie es gekocht wurde.

Gemeinsam haben diese Artikel, dass es auf mich als Leser immer so wirkt, als wären wir, die wir nicht für Trump gestimmt haben (oder hätten), auf die Auswechselbank gesetzt worden und könnten das was jetzt kommt nur noch als passive Beobachter verfolgen und hoffen, dass unser Team irgendwie durchkommt die kommenden vier Jahre.

Ein weiteres Genre von Trump-Artikeln ruft „uns“ dazu auf, dass wir jetzt unsere Werte hochhalten und verteidigen müssen. Ich stimme dem zu. Interessant ist jedoch für mich mit was für einer Haltung das geschieht. Ich glaube, man kann von seinen Vorstellungen und seinen Idealen überzeugt sein ohne selbstgerecht zu werden. Ohne das Ganze zu einem Kampf Gut gegen Böse oder Schlau gegen Dumm zu stilisieren, ohne ein „wir“ gegen „die“. Das zwanzigste Jahrhundert hat genug soziale und anfangs auch fortschrittliche Bewegungen gesehen, die sich genau deswegen über kurz oder lang in eine hässliche Karrikatur ihrer ursprünglichen Ideale verwandelt haben.

Wer also gerade verzweifelt, mutlos oder wütend ist kann sich fragen: Was fehlt mir? Was brauche ich? Und was brauchen wohl „die Anderen“, diejenigen, die Trump oder AfD gewählt haben? Ist das im Kern wirklich so unterschiedlich? Vergessen wir nicht, dass auch „die Anderen“ Menschen sind, die Gefühle und Bedürfnisse haben, auch wenn uns das, was sie tun oder sagen immer wieder den Schweiß auf die Stirn oder die Zornesröte ins Gesicht treibt. Sich erst mal still zu fragen, was ein anderer Mensch wohl braucht, anstatt darüber nachzudenken was mit ihm nicht stimmt, schafft für sich schon einmal eine entspanntere und vor allem positivere Haltung. Und das Gute daran: Diesen Schritt haben wir komplett in eigenen Händen. Von dort aus lässt sich Schritt für Schritt weiterdenken und weiterhandeln aus einer Perspektive, die die Bedürfnisse aller im Blick hat. Und wenn es erst einmal gelingt, sich als Menschen auf dieser Ebene zu begegnen, schafft das eine Basis für konkrete Lösungen auf der Ebene der Strategien.

Auf der Webseite des Center for Nonviolent Communication findet sich ein Artikel, den Begründer Marshall Rosenberg nach den Anschlägen vom 11. September verfasst hat, als die Welt sich in noch größerem Aufruhr befand als heute. Darin schreibt er wie er und sein Team bei ihrer Arbeit in Krisengebieten wie Ruanda, Burundi, Israel-Palästina und Ex-Jugoslawien beobachten konnten, wie verfeindete Parteien mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation wieder das Menschliche in ihrem Gegenüber erkennen konnten. Ehemalige Feinde begannen erstmals zusammen zu arbeiteten und Pläne zu erstellen, um den entstandenen Schaden zu bewältigen und für die Sicherheit künftiger Generationen zu sorgen. Daraus schöpfe ich Hoffnung, dass es auf der Welt immer Wege jenseits von Resignation und Angriff als bester Verteidigung gibt, sei es auf physische oder verbale Art und Weise. Für nachhaltige Sicherheit, Freiheit und Frieden zahlt es sich aus den Weg der Verbindung und des Respekts zu gehen und nicht die Abkürzung zu nehmen, die den ewigen Zyklus aus Gewalt und Gegengewalt nur immer weiter befeuert.

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